Industrie 4.0Die Maschinen der Zukunft gestalten
Abo-Modelle für intelligente Maschinen könnten zu einer Kreislaufwirtschaft führen
Autor: Martin Grolms im Auftrag des Projektkonsortium von RECLAIM
Die Vernetzung von eingebetteten Produktionssystemen und dynamischen Prozessen von Wirtschaft und Technik ermöglicht es, Produkte profitabler herzustellen, die sogenannte Smart Production. Doch die intelligente Vernetzung auch alter Maschinen kann noch viel mehr: Sie kann Ressourcen schonen, Überproduktionen vermeiden, Ausfälle verhindern und Wartungsintervalle deutlich verlängern. Dies könnte der erste Schritt in Richtung einer industriellen Kreislaufwirtschaft sein, wie das EU-Projekt RECLAIM zeigt.
Das Steinbeis Europa Zentrum leitet die Klärung der geistigen Eigentumsrechte innerhalb des Konsortiums und unterstützt die Projektpartner dabei, Verwertungsstrategien für die Projektergebnisse zu entwickeln. Somit wird sichergestellt, dass Ergebnisse auch langfristig nach Projektende weiter verwendet werden, sei es in der Wissenschaft, Normierung oder in der Wirtschaft.
Wir alle wissen, dass unser gegenwärtiges Wirtschaftssystem, das weitgehend auf hohem Ressourcenverbrauch basiert, unseren Planeten zerstört und verschmutzt. Der Earth Overshoot Day (EOD) - d.h. das berechnete Kalenderdatum, an dem der Ressourcenverbrauch der Menschheit für das Jahr die Regenerationsfähigkeit der Erde übersteigt - war im Jahr 2021 bereits der 29. Juli. Wenn wir und zukünftige Generationen weiterhin in Wohlstand leben wollen, gibt es nur eine Lösung: Wir dürfen nicht mehr Ressourcen verbrauchen, als nachwachsen werden. Wir müssen Ressourcen schonen und konsequent wiederverwenden. Kurz gesagt, wir brauchen eine Kreislaufwirtschaft.
Forscher auf der ganzen Welt befassen sich mit diesen Herausforderungen, auf technischer, wirtschaftlicher und sozialer Ebene. Einige von ihnen glauben, dass die Produktion der Zukunft stark vernetzt sein muss, um den Herausforderungen gerecht zu werden. Industrie 4.0, Smart Factory, Künstliche Intelligenz werden immer wieder genannt. Davon sind wir aber noch weit entfernt. Es gibt intelligente Pionierunternehmen, aber die überwiegende Mehrheit der Fabriken verwendet klassische Maschinen, die oft seit Jahrzehnten im Einsatz sind. Und sie leisten immer noch zuverlässige und genaue Arbeit, aber mit einer traditionellen, ressourcenintensiven Umgebung.
Wiederverwendung und Aufarbeitung alter Maschinen
Um den Ressourcenverbrauch zu minimieren, die Energieeffizienz zu steigern, Produktion und Produkte im Sinne der Nachhaltigkeit zu optimieren, müssen alle Produktionsmittel und Werkzeuge sowie alle Prozessschritte bestmöglich miteinander vernetzt und synchronisiert werden. Ein Problem: "Die meisten Maschinen lassen sich nicht einfach mit Sensoren ausstatten und in einer digitalisierten Umgebung einsetzen", erklärt Dr. Michael Peschl, Leiter für Forschung und Entwicklung bei der Harms & Wende GmbH & Co KG. Das Hamburger Unternehmen ist ein industrieller Zulieferer für automatisierte und manuelle Schweißtechnik und leitet das EU-Projekt RECLAIM.
RECLAIM steht für “RE-ManufaCturing and Refurbishment LArge Industrial Equipment”. Dieses EU-finanzierte Projekt soll Strategien und Technologien demonstrieren, die die Wiederverwendung von Industrieanlagen in alten, erneuerten und neuen Fabriken ermöglichen. Forscher und Industrievertreter aus neun europäischen Ländern konzipierten das Projekt mit dem ehrgeizigen Ziel, replizierbare Lösungen anzubieten, die dem europäischen Fertigungssektor helfen könnten, diese und zukünftige Anforderungen zu erfüllen.
"Harms & Wende verfolgt innerhalb des RECLAIM-Projekts zwei Hauptziele", so Michael Peschl. "Erstens, wie weit können wir mit Wiederverwendung und Sanierung, Nachrüstung und Umbau kommen? Wo liegen die Grenzen?" Neue Wiederverwendungs- und Modernisierungsansätze sind erforderlich, um sicherzustellen, dass die europäische Fertigung wettbewerbsfähig bleibt und die Umwelt schützt, so der Forscher. Mehrere Unternehmen haben im Rahmen von RECLAIM erfolgreich bestehende Maschinen mit smarten Sensoren nachgerüstet, um sie hoch- und teilautomatisiert in das Steuerungs- und Regelnetzwerk ihrer Anlagen zu integrieren. "Zweitens wollen wir herausfinden, wie Maschinen in Zukunft gestaltet sein müssen, um den Anforderungen einer Kreislaufwirtschaft gerecht zu werden", fügte er hinzu.
Dies sind nicht nur technische oder mechanische Fragen. Es geht nicht nur darum, Materialien zu trennen und umfassend zu recyceln, auch wenn dies nach wie vor ein wichtiger Faktor ist. Der Punkt ist: Je weniger Ressourcen eine Volkswirtschaft benötigt, desto einfacher wird es sein, weg von ressourcenintensiven Produktions- und Konsummodellen zu einer nachhaltigen, kohlenstoffarmen und abfallfreien Wirtschaft zu gelangen.
Peschl und seine RECLAIM-Partner wollen den Ressourcenbedarf so weit wie möglich reduzieren. Deshalb suchen sie nach Möglichkeiten, beispielsweise Wartungsintervalle so weit wie möglich hinauszuschieben. Sie entwickeln flexible Maschinenkonzepte, die breiter eingesetzt werden können, und überlegen, ob es nicht sinnvoller wäre, Maschinen zu mieten, anstatt sie zu kaufen. Für diese Überlegungen benötigen sie Daten, viele Daten, sogenannte Big Data: Maschinendaten, Produktionsdaten, Materialdaten, Informationen über Maschinenbediener, Parameter der gesamten Produktionsumgebung – am besten zu jedem Zeitpunkt, Details zu Produktanwendungsbereichen, Endnutzerverhalten und so weiter. Eine derart Fülle an Informationen auszuwerten und zu interpretieren, ist nur mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz möglich.
Industry 4.0 Audit
Um die Digitalisierungspotenziale von Produktionsanlagen zu ermitteln, entwickelten Maurice Herben, Programmleiter am Fraunhofer Projektzentrum an der Universität Twente, Niederlande, und seine Kollegen vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT einen Industrie 4.0 Audit. Das umfassende Industrie 4.0 Audit verspricht, Unternehmen einen aufschlussreichen Blick aus der Vogelperspektive auf den aktuellen Digitalisierungsstand sowie eine forschungsgestützte, datengetriebene Blaupause für den zukünftigen Erfolg zu bieten.
Das Audit beginnt mit einem Vor-Ort-Quick-Scan, einer kurzen Untersuchung, um ein Verständnis für die spezifischen Bedürfnisse, Ziele und erwarteten Herausforderungen des Unternehmens zu entwickeln, um einen maßgeschneiderten Audit-Ansatz zu verfolgen. Es beinhaltet Vor-Ort-Gespräche mit Führungskräften und Mitarbeitern des Unternehmens. Anhand der Informationen aus dem Quick Scan entwickeln die Fraunhofer-Experten einen maßgeschneiderten Auditplan, der auf die spezifischen Anforderungen der Organisation zugeschnitten ist.
Das Hauptaudit von Industrie 4.0 umfasst bis zu zwei Wochen Inhouse-Workshops mit verschiedenen Stakeholdern. Es umfasst eine Ist-Analyse, eine Benchmark- und Gap-Analyse und schließlich eine Roadmap-Entwicklung. Das Unternehmen erhält eine Aufschlüsselung der aktuellen Prozesse und Industrie 4.0-Kompetenzen und -Lücken. Maurice Herben und seine Mitarbeiter erstellen einen individuellen Implementierungs- und Aktionsplan. Auf Wunsch bieten sie Umsetzungsunterstützung und Workshops an.
"Der entscheidende Kundennutzen unseres Audits ist, dass viele Unternehmen gar nicht wissen, was mit der digitalen Transformation möglich ist", sagt Herben. "Wir haben verschiedene Experten für einzelne Bereiche, die mit den neuesten Trends und technologischen Entwicklungen in der Smart Industry vertraut sind, wie zum Beispiel adaptive Produktion oder Analytics in der Produktion, Digital Twin oder Abo-Modelle. Sie kennen die spezifischen Vorteile, Chancen und Herausforderungen."
Machine as a Service (MaaS)
Analytics in der Produktion und Digital Twins ermöglichen laut Fraunhofer-Projektzentrum neue Geschäftsmodelle – mit erweitertem Umfang oder konsequent nachhaltiger Ausrichtung. Dies erfordert natürlich eine Transformation der aktuellen Produktionsprozesse. Wenn Unternehmen bereit sind, nicht nur ihre Produktion, sondern auch ihre Finanzierungsprinzipien zu überdenken, könnten Abonnementmodelle der nächste große Schritt sein: Unternehmen wie MAN, Siemens, Philipps, Caterpillar und Saint Gobain haben den Trend zum Abo statt Kauf bereits umgesetzt. Immer mehr Unternehmen wollen einfach Maschinen und Werkzeuge einsetzen; Der Zugang zu einer solchen Dienstleistung ist wichtiger als der Erwerb. Für viele Unternehmen ist dies eine Frage der Verfügbarkeit, Flexibilität, Vielfalt der Optionen und Nachhaltigkeit.
Die zunehmende Digitalisierung von Prozessen und Produkten weckt bei produzierenden Unternehmen große Hoffnungen in Form des daraus resultierenden Wertschöpfungspotenzials. Durch die zunehmenden Möglichkeiten der Digitalisierung sind besondere Potenziale bei der Neuinterpretation industrieller Abo-Modelle möglich. Traditionelle Vertriebsmodelle führten zu einer erheblichen Überproduktion, was eine erhebliche Verschwendung von Ressourcen bedeutet, verbunden mit enormen Kosten, die von Herstellern und Kunden geteilt werden. Dies könnte durch die Verwendung von Abonnements vermieden werden. Abo-Modelle bieten eine Leistungssteigerung und führen zu einer Angleichung der Interessen von Hersteller und Kunde. Darüber hinaus profitieren Maschinenanwender von einer gesteigerten Dynamik verbunden mit Produktivität und Qualität, umfassendem Wartungs- und Reparaturservice, Kostentransparenz und geringeren Nutzungskosten sowie einer vereinfachten Rückbeschaffung.
"Abo-Modelle haben sich noch nicht durchgesetzt", erklärt Michael Peschl. "Aber die Vorteile liegen auf der Hand. Wir müssen Vertrauen und Akzeptanz schaffen. Genau das haben wir in RECLAIM begonnen." Nun fordern Peschl und seine Kollegen, die europäischen Steuerabschreibungsoptionen anzupassen, um Abonnementansätze zu unterstützen, die die Kreislaufwirtschaft erleichtern.
Die neue Idee zur Aufarbeitung und Wiederaufbereitung auf der Grundlage von Big Data Analytics, Machine Learning, Predictive Analytics und Optimierungsmodellen unter Verwendung von Deep-Learning-Techniken und Digital-Twin-Modellen im RECLAIM-Projekt war jedoch sehr erfolgreich. Die Interessengruppen konnten fundierte Entscheidungen darüber treffen, ob schwere Maschinen, die sich dem Ende ihres Lebenszyklus nähern, wiederaufbereitet, aufgerüstet oder repariert werden sollen.
"Harms & Wende konnte die Schweißtechnik im Rahmen des RECLAIM-Projekts deutlich verbessern", präsentiert Peschl stolz die Ergebnisse. "Bisher haben wir Vorfälle um 50 % reduziert, die Wartungskosten ebenfalls um 50 % gesenkt und die Lebensdauer unserer Systeme um acht Jahre verlängert." Sobald die RECLAIM-Projektpartner die gewonnenen Erkenntnisse und die grundlegenden Erkenntnisse zu den Designanforderungen der Kreislaufwirtschaft umsetzen, sind weitere Verbesserungen in sehr naher Zukunft sehr wahrscheinlich.
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