Fokusthema Januar 2025Wie können wir unsere Lebensmittelsysteme nachhaltiger gestalten? FUSILLI Projektpartner präsentieren Lösungen.
Wie können wir unsere Lebensmittelsysteme nachhaltiger gestalten? Mit dem EU-Projekt FUSILLI haben wir Lösungen erarbeitet.
Autor:innen: Anette Mack, Chiara Adam, Alparslan Akkus
Wie wir uns ernähren, welche Lebensmittel wir produzieren und konsumieren – dies alles hat Auswirkungen auf Umwelt und Klima. 80% unserer produzierten Lebensmittel werden in Städten konsumiert (EAT 2022) und über 70% der Menschen leben in Städten - mit wachsender Tendenz. Jeder Teil der Lebensmittelkette hat große Auswirkungen auf das Klima und bietet daher Ansatzpunkte für Innovation, um negative Auswirkungen zu minimieren. Hinzu kommt, dass Lebensmittelsysteme außerordentlich komplex sind; will man sie transformieren, muss man sie ganzheitlich betrachten und unterschiedliche Akteure wie private Unternehmen, politische Entscheidungsträger:innen, die Zivilgesellschaft, die Wissenschaft und viele mehr involvieren. Dann werden Städte zu kraftvollen Akteuren und können viel in Bewegung setzen.
Das Steinbeis Europa Zentrum und 33 weitere Partner des EU-Projekts FUSILLI haben sich in den letzten vier Jahren intensiv mit dieser Fragestellung befasst und in 12 europäischen Städten 324 Maßnahmen in sogenannten Living Labs umgesetzt. Hier wurden alle Stufen der Lebensmittelkette miteinbezogen: von der Produktion, Verarbeitung, Vertrieb und Logistik hin zu Konsum,Abfallmanagement und kommunaler Nahrungsmittelpolitik. Die EU hat FUSILLI mit 12,1 Mio. Euro gefördert.
Abschlusskonferenz in Nilüfer, Türkei, 19.-20. November 2024 - Mehr dazu: Steinbeis Europa Zentrum führt Abschlusskonferenz von FUSILLI durch - Steinbeis DE
Lessons Learned Cookbook fasst Ergebnisse zusammen
Das Steinbeis Europa Zentrum hat als Projektpartner für Kommunikation die Projektergebnisse in der Broschüre „Lessons Learned Cookbook Recipes for Transforming Urban Food Systems: Best Practices from FUSILLI‘s Living Labs in Action“ zusammengefasst. Von der Verbesserung der lokalen Lebensmittelproduktion und der Abfallvermeidung bis hin zur Verbesserung der Lebensmittelsicherheit und der Förderung einer gesunden Ernährung haben die gewonnenen Erfahrungen das Verständnis geschärft und Impulse für neue Strategien für ein nachhaltiges Leben in der Stadt gesetzt. Die „Lessons Learned“ und weitere Projekterfolge wurden am 19. und 20. November 2024 auf der Abschlusskonferenz in Nilüfer (Bursa), Türkei präsentiert und diskutiert.
Im Folgenden stellen wir Ihnen vier Living Labs aus der Türkei, Norwegen, Kroatien und Spanien vor.
Living Lab Nilüfer, Türkei – Bodenanalyse verbessert landwirtschaftliche Lebensmittelproduktion
Der Fokus im Living Lab in Nilüfer (Bursa), Türkei, lag auf dem Zusammenspiel zwischen Lebensmittelproduktion, digitaler Innovation und umweltfreundlicher Landwirtschaft. Dazu wurden Maßnahmen zur Ausweitung von Bodenanalysen umgesetzt. Die Gemeinde entschied sich zum Kauf eines durch Schließung gefährdeten Labors, das fortan von der Nilüfer Agricultural Development Cooperative (NILKOOP) betrieben wird und in der Region einzigartig ist. Dieses Labor untersucht nicht nur Nährstoffgehalt und -ungleichgewicht im Boden, sondern zeigt auch auf, welche Menge und Art von Düngung er benötigt und wie ausgeprägt die Fähigkeit des Bodens ist, Pflanzen mit Nährstoffen zu versorgen. Dank diesen detaillierten Informationen können Landwirte gezielt herausfinden, wie sie ihre Erträge erhöhen, Produkte mit höherem Marktwert anpflanzen und dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern können. Zudem untersucht und wertet das Labor heute Bodenproben aus der ganzen Türkei aus.
Indem das Labor vor Ort betrieben wurde, konnten die Kosten minimiert und mehr Landwirte zur Teilnahme animiert werden. Das Projekt hat gezeigt, dass Landwirte eher bereit sind, Bodenanalysen in Anspruch zu nehmen, wenn sie kostengünstig oder sogar kostenlos sind. Insbesondere genossenschaftlich organisierte Landwirte nahmen das Angebot gut an, was den Wissensaustausch und die Zusammenarbeit unter den Landwirten auch langfristig fördert.
Besuch beim Nilüfer Agricultural Analysis Laboratory, Foto: Nilüfer Municipality
Die Analyseergebnisse wurden in einem nächsten Schritt digitalisiert: Seit Herbst 2022 sind die Daten in Form von interaktiven Bodenkarten öffentlich zugänglich - und Landwirte können nun online einsehen, welche Pflanzen auf ihrem Boden am besten gedeihen und welche Bedingungen dafür optimal sind. Diese Karten helfen dabei, die Bodenbeschaffenheit in Nilüfer besser zu verstehen und für den Anbau zu nutzen. Dank der Zusammenarbeit mit einem Landwirtschaftsingenieur lernen sie, ihre Erträge zu maximieren und gleichzeitig umweltfreundlicher zu arbeiten – denn der Anbau von Produkten, die besser zum Boden passen, spart nicht nur Kosten, sondern sorgt auch für eine nachhaltigere und wettbewerbsfähigere Landwirtschaft.
Living Lab Oslo, Lebensmittelkonsum – Nachhaltig und gesund Essen am Arbeitsplatz
In einer pulsierenden Stadt wie Oslo sind nachhaltige Essenspraktiken zu einem entscheidenden Faktor für die Förderung des Umweltschutzes und der öffentlichen Gesundheit geworden. An der Spitze dieser Bewegung steht die Kantine Karvesvingen 3 der Stadt Oslo, einem Arbeitsplatz von rund 800 Mitarbeitenden und anderen Mietern. Hier wurde im Rahmen von FUSILLI ein Living Lab eingerichtet, das traditionelle Essgewohnheiten in nachhaltige Alternativen umwandelt. Dazu gehörte die Reduzierung des Fleischkonsums, die Abschaffung von Einwegplastik und die Bereitstellung von überschüssigen Lebensmitteln über einen „Trust Shop“. Partner des Living Lab waren Höegh Real Estate, Sodexo Norwegen und das Include Research Centre.
Um das vegetarische Menü bekannt zu machen, organisierten die Projektpartner eine Verkostungsveranstaltung und einen monatlichen „Food Talk“ in der Mittagspause, bei dem die Mitarbeitenden über klimafreundliche Lebensmittel, Tierschutz, Lebensmittelumgebungen und ultrahochverarbeitete Lebensmittel informiert wurden.
Karvesvingen canteen - Oslo’s Living Lab demonstration site for sustainable and healthy food at work. Foto: Line Tveiten, City of Oslo
Darüber hinaus wurden essbare Pflanzen auf der Dachterrasse angebaut und Automaten für überschüssige Lebensmittel aus der Kantine aufgestellt. Alte Automaten mit ungesunden Optionen wurden durch neue Angebote mit gesunden nachhaltigen Getränken und Snacks ersetzt.
Mit dem Ziel dauerhafte Veränderungen zu bewirken, hat die Stadt Oslo Informationskampagnen durchgeführt und einen kommunalen Beratungsdienst für nachhaltige Lebensmittel eingerichtet. Er bietet Schulungen und Unterstützung für das Personal in Kindergärten, Schulen und Pflegeheimen an und hilft beispielsweise den Verbrauch von Bio-Lebensmitteln zu erhöhen und Lebensmittelabfälle zu reduzieren.
Die Einrichtung von Living Labs ist eine Herausforderung, denn es müssen gleichzeitig Interessensgruppen gewonnen und Visionen und Methoden entwickelt werden. Daher hat die Oslo Metropolitan University gemeinsam mit der Syddansk Universitet ein Manual For Food System Living Labs erstellt. Das Handbuch bietet eine Anleitung für die Einrichtung von Living Labs mit den Schwerpunkten Ernährung, Klima, Kreislaufwirtschaft und Innovation im Lebensmittelsystem. Es geht ausführlich auf die Methode ein, gibt Empfehlungen, warnt aber auch vor möglichen Fallstricken.
Living Lab Rijeka – Abfallmanagement
In Kroatien fallen jährlich über 216.000 Tonnen Lebensmittelabfälle an, vor allem aus dem Gastgewerbe und aus privaten Haushalten. Wie kann man dieser Lebensmittelverschwendung entgegenwirken? Diese Frage stellte sich die Stadt Rijeka und engagiert sich deshalb in internationalen Projekten wie FUSILLI. Um das Bewusstsein für Lebensmittelabfälle zu erhöhen und den Umgang mit Lebensmitteln zu verändern, entschieden sich die Projektpartner des Living Labs für mehr Aufklärung und digitale Lösungen.
In einer Umfrage wurde deutlich, dass über die Hälfte der Menschen Lebensmittel kauft, die sie später wegwerfen. Um dem entgegenzuwirken wurde die neue App „Food Waste Analyzer“ entwickelt. Die App ermöglicht es, Lebensmittelabfälle zu überwachen und Einsparpotenziale zu erkennen. Sie richtet sich vor allem an Akteure aus dem Gastgewerbe, um ihnen die Vorteile nachhaltiger Praktiken näherzubringen.
Ein Schwerpunkt der Projektarbeit in Rijeka lag auf benachteiligten Gruppen wie Senior:innen und Arbeitslosen. Mit Ernährungsplänen und Workshops sollen sie sozial integriert und Lebensmittelüberschüsse gespendet werden, um die Verschwendung zu reduzieren. Ziel dabei ist es, eine nachhaltigere und gesündere Ernährung und stärkere soziale Unterstützung zu ermöglichen.
Rijeka’s Cookbook: Sustainable flavours, sustainable budget. Foto: City of Rijeka
Um der Lebensmittelverschwendung in Privathaushalten entgegenzuwirken, gab es weitere Maßnahmen wie Workshops für abfallfreies Kochen, die Veröffentlichung eines Kochbuchs mit nahrhaften Rezepten und Tipps für eine nachhaltigere Küche sowie neue Menüs für Schulkantinen.
Living Lab San Sebastian – Unterstützung der lokalen Landwirtschaft
Die baskische Hauptstadt ist weltweit bekannt für ihre Gourmetküche mit frischen Produkten. Auf den Märkten und in den Geschäften von San Sebastián sind die lokalen Erzeuger schon immer willkommen, und ihre Produkte werden sehr geschätzt. Auf Grund steigender Kosten entscheiden sich allerdings viele Bürgerinnen und Bürger zunehmend für billigere, einfachere Einkaufsmöglichkeiten, wobei sie oft Fleisch- und Milchprodukte gegenüber gesünderen, nachhaltigen und lokalen Lebensmitteln bevorzugen. Auch die lokalen Erzeuger haben mit steigenden Produktionskosten, z. B. für Energie und Düngemittel, zu kämpfen und können die niedrigen Preisforderungen nicht erfüllen, ohne ihre finanzielle Stabilität zu gefährden.
Um die Versorgung mit lokalen Produkten in San Sebastián zu fördern, haben die FUSILLI Partner Fomento de San Sebastián, das Umweltamt der Stadt und EROSKI die Bedürfnisse und Lücken zwischen der aktuellen Situation und den Projektzielen ermittelt.
Mit drei Maßnahmen will San Sebastian das Lebensmittelsystem verbessern: Mit der Einführung eines „Tag des lokalen Produkts“ wurde ein zweitägiger Markt im Zentrum von San Sebastián ins Leben gerufen. Der Markt findet ein- bis zweimal im Jahr statt und bietet bis zu 30 Stände mit Gemüse, Milchprodukten, Obst, Getränken, Konserven und vielem mehr. Mit der Verleihung eines Preises für das „Engagement für lokale Produkte“ wird das Engagement des Gastgewerbes, der Einzelhändler und der Hotels für lokale Produkte gewürdigt. Auch Schulen, Verbände und Unternehmen tragen zum Markt bei. Ziel der Initiative ist es, lokale Lebensmittel und die Landwirtschaft zu fördern und Verbraucher:innen die Produkte in einem attraktiven Rahmen näher zu bringen, mit hoher Beteiligung und Zufriedenheit der lokalen Erzeuger.
Um lokale Produkte in der Bevölkerung populär zu machen, arbeitet die Stadt mit der Supermarktkette EROSKI zusammen. Der Supermarkt hat einen Jahreskalender zur Förderung baskischer Lebensmittel entworfen und Interessenvertreter zusammengebracht, um den lokalen Verbrauch und kurze Lieferketten zu fördern. Im Rahmen der FUSILLI-Aktionen zur Aufklärung von Kindern entwickelte EROSKI ein Bildungsprogramm zur Förderung einer gesunden Ernährung und eines gesunden Lebensstils bei Kindern, wobei Spiele eingesetzt wurden, um das Lernen unterhaltsam und einprägsam zu gestalten.
Fun, Food, and Health: EROSKI’s session for young children. Foto: EROSKI
Mit der Initiative „Donostia Urban Lur“ unterstützt Formento San Sebastian lokale landwirtschaftliche Betriebe. Menschen aus allen sozialen Schichten, die sich vorstellen können, ein landwirtschaftliches Projekt zu betreiben und sich in diesem Bereich selbstständig zu machen, erhielten im Stadtteil Alza geeignete Flächen und Infrastruktur für den Anbau, Werkzeuge, eine technische Ausbildung in der Landwirtschaft sowie Unterstützung und Beratung bei der Vermarktung der Produkte. Sechs Gemüsegärten mit einer Fläche von 2,7 Hektar wurden in sechs Parzellen zwischen 4.000 und 6.000 Quadratmetern aufgeteilt. Die Übertragung der landwirtschaftlichen Flächen ist für einen Zeitraum von drei Jahren angedacht, wobei im ersten Jahr ein Nachlass von 100 % auf den Pachtpreis gewährt wird. Die Initiative verfolgt ein doppeltes Ziel: die Förderung der Selbstständigkeit und die Steigerung der lokalen Lebensmittelproduktion in San Sebastián.
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Broschüre: Lessons learned _ https://fusilli-project.eu/outcomes/lessons-learned/
Website: FUSILLI - Urban food planning
Kochbuch aus Rijeka: RIJ_Sustainable-Cookbook-Fusilli-2024_ENG.pdf
Video: FUSILLI's Legacy - Fostering the Urban Food System Transformation through Innovative Living Labs
Video Final Confernce: FUSILLI Final Conference
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